preußische Reformen

preußische Reformen
I
preußische Refọrmen,
 
Preußen 2).
II
preußische Reformen
 
Gerade der durch den Frieden von Tilsit verstümmelte und gedemütigte preußische Staat zog Verwaltungsbeamte, Staatsmänner, Offiziere und Gelehrte an, die im Geiste des erwachenden deutschen Nationalgefühls und in selbstständiger Weiterentwicklung der Ideen der Französischen Revolution eine grundlegende Erneuerung des Staates anstrebten, in der sie die Vorbedingung für einen Wiederaufbau und die Befreiung des Landes von der Fremdherrschaft sahen. Stärkste Kräfte in dieser Reformbewegung waren die Minister Stein, dessen Nassauer Denkschrift vom Juni 1807 das große Manifest der Reform wurde, und Hardenberg (siehe auch preußische Reformen: Freiherr vom und zum Stein und Fürst von Hardenberg). Die von ihnen durchgesetzten Neuerungen betrafen verschiedene Gebiete: In der Staatsverwaltung wurde die nicht verantwortliche Kabinettsregierung durch die fünf klassischen Ministerien für Inneres, Finanzen, Auswärtiges, Krieg und Justiz mit dem Staatskanzler als Vorsitzendem des Ministerrats (1808/10) ersetzt, ein erster Schritt vom absoluten zum konstitutionellen Königtum. - In der Steinschen Städteordnung von 1808 wurde das Prinzip der Selbstverwaltung auf kommunaler Ebene eingeführt. Danach war die Stadtverordnetenversammlung Träger gemeindlicher Rechtssetzung und Verwaltung; der von ihr gewählte Magistrat stand als abhängiges Vollzugsorgan an der Spitze der Stadtverwaltung. Die Städte erlangten die volle Finanzgewalt. Die städtischen Bürger wurden ein in sich gleichberechtigter, staatsunmittelbarer Stand, dessen Mitwirkung an der Selbstverwaltung aber an Besitz und Bildung gebunden blieb. Das Selbstverwaltungsgesetz wirkt noch heute in den Gemeindeordnungen der Bundesländer nach. - Die größte Breitenwirkung erzielte die 1807 eingeleitete, aber erst 1850 abgeschlossene Bauernbefreiung, die einen freien Bauernstand schaffen und einen Aufschwung der Landwirtschaft bewirken sollte; diese Ziele sind - wenn auch mit vielfachen Einschränkungen - im Wesentlichen erreicht worden. Eine weitere Voraussetzung für den wirtschaftlichen Aufstieg Preußens war die Aufhebung der Zunftordnungen zugunsten der Gewerbefreiheit 1810/11; sie ermöglichte die spätere Industrialisierung. Wirtschaftliche Folgen hatte auch die bürgerliche Gleichstellung der Juden 1812.
 
Hand in Hand mit diesen Reformen ging seit 1807 die Erneuerung des Heerwesens durch die Generale Gneisenau und Scharnhorst sowie den Kriegsminister Boyen. Das Adelsprivileg für die Offizierslaufbahn wurde aufgehoben, die Militärstrafen gemildert; neben dem stehenden Heer wurde eine milizartige Reservearmee, die Landwehr, geschaffen, 1813/14 die allgemeine Wehrpflicht eingeführt. Diese Maßnahmen schufen ein »Volk in Waffen« und bereiteten die Befreiung Preußens von der französischen Vorherrschaft vor, wofür auch die Schaffung eines modernen Generalstabs entscheidend war.
 
Zur geistigen Erneuerung trug wesentlich die von Ideen Fichtes, Schleiermachers und Pestalozzis beeinflusste Erziehungs- und Bildungsreform bei, die eine Erziehung zu Selbstständigkeit und Nationalbewusstsein im humanistischen Sinne erreichen wollte. Ihr maßgeblicher Gestalter war Wilhelm von Humboldt, der seit 1809 die Leitung der preußischen Kultus- und Unterrichtsverwaltung übernommen hatte. Unter seiner Regie wurde das Bildungswesen verstaatlicht, die allgemeine Schulpflicht durchgesetzt, das Unterrichtswesen neu gestaltet. Die von ihm 1810 gegründete Berliner Universität wurde zum geistigen Mittelpunkt der sich nun in Preußen immer stärker regenden Freiheitsbewegung.

Universal-Lexikon. 2012.

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